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Aus dem Brief von Papst Franziskus an das pilgern- de Volk Gottes in Deutschland vom 29.06.2019

… Heute indes stelle ich gemeinsam mit euch schmerzlich die zunehmende Erosion und den Verfall des Glaubens fest mit all dem, was dies nicht nur auf geistlicher, sondern auch auf sozialer und kultureller Ebene einschließt. Diese Situation lässt sich sichtbar feststellen, wie dies bereits Benedikt XVI. aufgezeigt hat, nicht nur «im Osten, wie wir wissen, wo ein Großteil der Bevölkerung nicht getauft ist und keinerlei Kontakt zur Kirche hat und oft Christus überhaupt nicht kennt», sondern sogar in sogenannten «traditionell katholischen Gebieten mit einem drastischen Rückgang der Besucher der Sonntagsmesse sowie beim Empfang der Sakramente». Es ist dies ein sicherlich facettenreicher und weder bald noch leicht zu lösender Rück-gang. Er verlangt ein ernsthaftes und bewusstes Herangehen und fordert uns in diesem geschichtlichen Moment wie jenen Bettler heraus, wenn auch wir das Wort des Apostels hören:
«Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, geh umher!» (Apg 3,6) …
Die derzeitige Situation anzunehmen und sie zu ertragen, impliziert nicht Passivität oder Resignation und noch weniger Fahrlässigkeit; sie ist im Gegenteil eine Einladung, sich dem zu stellen, was in uns und in unseren Gemeinden abgestorben ist, was der Evangelisierung und der Heimsuchung durch den Herrn bedarf. Das aber verlangt Mut, denn, wessen wir bedürfen, ist viel mehr als ein struktureller, organisatorischer oder funktionaler Wandel. Ich erinnere daran, was ich anlässlich der Begegnung mit euren Oberhirten im Jahre 2015 sagte, dass nämlich eine der ersten und größten Versuchungen im kirchlichen Bereich darin bestehe zu glauben, dass die Lösungen der derzeitigen und zukünftigen Probleme ausschließlich auf dem Wege der Reform von Strukturen, Organisationen und Verwaltung zu erreichen sei, dass diese aber schlussendlich in keiner Weise die vitalen Punkte berühren, die eigentlich der Aufmerksamkeit bedürfen. «Es handelt sich um eine Art neuen Pelagianismus, der dazu führt, unser Vertrauen auf die Verwaltung zu setzen, auf den perfekten Apparat. Eine übertriebene Zentralisierung kompliziert aber das Leben der Kirche und ihre missionarische Dynamik, anstatt ihr zu helfen (vgl. Evangelii gaudium, 32)».
Die Grundlage dieser Versuchung ist der Gedanke, die beste Antwort angesichts der vielen Probleme und Mängel bestehe in einem Reorganisieren der Dinge, in Veränderungen und in einem “Zurechtflicken”, um so das kirchliche Leben zu ordnen und glätten, indem man es der derzeitigen Logik oder jener einer bestimmten Gruppe anpasst. Auf einem solchen Weg scheinen alle Schwierigkeiten gelöst zu sein und scheinbar finden die Dinge wieder ihre Bahn, so das kirchliche Leben eine “ganz bestimmte” neue oder alte Ordnung findet, die dann die Spannungen beendet, die unserem Mensch-Sein zu eigen sind und die das Evangelium hervorrufen will. Auf diese Weise wären Spannungen im kirchlichen Leben nur scheinbar zu beseitigen. Nur „in Ordnung und im Einklang” sein zu wollen, würde mit der Zeit lediglich das Herz unseres Volkes einschläfern und zähmen und die lebendige Kraft des Evangeliums, die der Geist schenken möchte, verringern oder gar zum Schweigen bringen:
«Das aber wäre die größte Sünde der Verweltlichung und verweltlichter Geisteshaltung gegen das Evangelium». So käme man vielleicht zu einem gut strukturierten und funktionierenden, ja sogar „modernisierten“ kirchlichen Organismus; er bliebe jedoch ohne Seele und ohne die Frische des Evangeliums. …